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Was hat Zynismus mit Intelligenz zu tun?

Was hat Zynismus mit Intelligenz zu tun?

Ich geb es zu, ich hab im Laufe der Jahre einen ganz schönen Zynismus entwickelt. Früher war das anders. In der Mitte meiner Schullaufbahn verschlang ich Witzbücher und ich konnte mir allen Unsinn merken. Damit avancierte ich zu einer Art Klassenclown. Pluspunkte sammeln, indem man für Lacher sorgt. In meinem Fall eher in den Pausen, als dass ich damit Lehrer provoziert hätte.

Als ich zur Uni ging, belegte ich 2001 in Germanistik ein Seminar mit dem hinreißenden Titel „Rassismen und Sexismen im Deutschen“. Jeder bekam sein Thema und weil ich wiedermal eine der letzten war – YZ eben 😉 – blieb nicht viel Themen-wünschen, sondern als Hausarbeitsthema wartete nur „Der politische Witz in der DDR“. Es gab nicht allzu viel Stoff, den man hätte recherchieren und zitieren können. Unter wenig anderem stieß ich auf die Internetseite www.ddr-witz.de. Auch hier war nicht viel Referatsstoff zu ergattern, aber seeehr viele Beispiele. 🙂

Im Endeffekt verfasste ich die geforderte Hausarbeit und Herr Franke, der Herausgeber, druckte meine Abhandlung sogar in seinem Buch ab. Yeah! Soviel zu meinem Background.

Inhaltlich blieben bei mir unter anderem folgende Stichpunkte hängen:

  • Witze werden immer wieder neu erfunden von Menschen in Notlagen. Zwischen NS- und DDR-Witzen wurden nicht einfach die Namen ausgetauscht, auch wenn der Rest ähnlich ist.
  • Wenn Menschen nichts mehr bleibt als Ventil, dann hilft nur noch Humor (der mit steigendem Druck immer schwärzer wird).
  • Humor erfordert ein gesteigertes Maß an Intelligenz, da man sonst Doppeldeutigkeiten nicht erkennt und lange nach dem Haken zum Lachen sucht.
  • Und: Witze sind nicht mehr lustig, wenn man sie wiederholt (es sei denn, man ist 5 Jahre alt ;).

Was früher für mich ein Mittel war, um Zugehörigkeit zu generieren, wo ich mich kaum zugehörig fühlte, wuchs sich weiter aus. Erst kam Ironie, später Sarkasmus, dann Zynismus. Am Ende blieb bei aller Unwissenheit darüber, welches Ausmaß an Bedeutung Hochbegabung für mich und mein Wesen einnahm, nur noch Verbitterung über die von mir so empfundene Langsamkeit, Oberflächlichkeit, Einfältigkeit – kurz über das Unverständnis meines Umfeldes. Man könnte es als Abwärtsspirale sehen. Menschen spiegelten mir in verschiedenen Stadien dieser Entwicklung, wo ich mich befand. Ein Mitbewohner im Studium war belustigt und empört gleichzeitig über meinen Zynismus gegenüber Dritten. Eine Frau sagte vor wenigen Jahren, mir sei die Verbitterung ins Gesicht geschrieben. Wie dem auch sei.

Kürzlich schrieb mir eine Freundin, die sich als DGhK-Beraterin mit der Materie auskennt, ganz knapp: „Ironie ist Überlebensmodus“. Das musste ich erstmal wirken lassen…

Und tatsächlich. Ich finde ganz viele Situationen, in denen der Grund für meine zynische Reaktion darin liegt, dass ich mich hilflos fühle. Es fehlt die adäquate Handlungsmöglichkeit. Konkret: Wenn ich mich und meine Gedankengänge erklären will, um wie jedes soziale Wesen Verständnis zu bekommen, dann stelle ich allzu oft irgendwann fest, dass es vergebene Liebesmüh ist, weil mein Gegenüber nach der Hälfte der Erklärung aussteigt. Das tut dann weh! Das tut verdammt weh! Denn es ist zwar von demjenigen nicht beabsichtigt, aber ich empfinde es als „nicht gesehen werden“. Per Definition ist das Ignoranz. Und Studien haben ergeben: Ignoranz ist schlimmer als Prügel.

Versuch nur mal den Gedanken durchzuspielen, du würdest für dein Sosein permanent seit dem Kindergarten verprügelt. Da würde irgendwann das Jugendamt auf der Matte stehen! Aber bei Hochbegabten kommt keine Hilfe von außen! Da gilt immer nur: „Wenn du so schlau bist, kannst du dir ja selbst helfen.“ Konnte ich aber bisher nicht. Ich konnte als „Nicht-Erkannte“ das Problem nicht mal einordnen! Ich war gefühlt immer nur der schlechte Charakter, der Zynismus nötig hat. Niemand hat mir beigebracht, dass ich anders ticke und dass ich die Reaktionen des Umfeldes nicht persönlich nehmen soll. Im Gegenteil: Mir wurde ständig gesagt, dass ich nicht richtig bin, wie ich bin, weil ich nicht so (unkompliziert, angepasst, fleißig…) bin wie die breite Masse derer zwischen 85 und 115. Ständig ist man angehalten, sich an wem auch immer ein Beispiel zu nehmen. Hauptsache weg vom eigenen, für andere unbequemen Selbst! In gelebtem Zynismus steckt ganz viel Schmerz, mit dem der Zyniker umgehen, irgendwie fertig werden muss.

Ich kann nicht nachvollziehen, wer wie viele Schritte meiner gedanklichen Herleitung mitgeht, wenn ich was erkläre, und welcher dieser Schritte einer zu viel ist. Und glaubt mir, es ist sooo zum Heulen befriedigend, mal auf jemanden zu treffen, dem man nichts erklären muss – danke Lux, danke Thomas, danke Claudia! – oder auch jemandem, der ernsthaft wissen will, was man denkt – danke Josepha, danke Christoph! So schön, euch in meinem Leben (gehabt) zu haben. 🙂

Bei der Ironie ist es noch etwas anders. Da ist es manchmal einfach spaßig, mit Vieldeutigkeiten zu spielen. Macht ja jeder gute Kabarettist. Aber wie oben geschrieben: Man muss diese Doppel- und Mehrdeutigkeiten erstmal erkennen. Im Kopf müssen völlig unabhängige Themenfelder gleichzeitig funken, um Parallelen zu entdecken, die man dann mehr oder weniger bissig auf die Schippe nimmt.

Und der Sarkasmus? Bei dem muss ich schnell selber nochmal googeln, wo der Unterschied zum Zynismus ist.
Wikipedia zitiert den Brockhaus zu Zynismus mit: eine Haltung, Denk- und Handlungsweise, die durch beißenden Spott geprägt ist und dabei oft bewusst die Gefühle anderer Personen oder gesellschaftliche Konventionen missachtet. (Vielleicht, weil man es nicht anders kennt, als dass die eigenen Gefühle missachtet, ja einem sogar abgesprochen werden???)
Bei Sarkasmus steht aus dem Duden zitiert: Sarkasmus bezeichnet beißenden, verletzenden Spott mit höhnischem Charakter. Sarkasmus zielt darauf ab, jemanden oder etwas lächerlich zu machen.

So wird aus dem Sarkasmus, bei dem man sich zum Selbst-Schutz(!) über das Unverständnis anderer lustig macht, unter Umständen der Zynismus als grundsätzliche Lebenseinstellung, vielleicht nachdem man im Sarkasmus resigniert. Vielleicht ist man in dem Abschnitt der Savanne der einzige Löwe unter Antilopen und kann beim besten Willen und allem Antilopen-Wohlwollen einfach kein Gras mehr schlucken…

Tja, was bleibt unterm Strich? Zynismus als irgendwie schon ziemlich brillante Kompensationsstrategie eines überaus funktionellen Verstandes, um mit geradezu unerträglichen psychischen Lebensumständen umzugehen. Und mal ehrlich, wäre jemandem gedient, wenn man sich stattdessen in Süchte zurückgezogen hätte?

Trotzdem ist der Königsweg noch unbeschritten, nämlich: Sich eine artgerechte Umgebung zu suchen oder zu schaffen. Also auf zu neuen Ufern!

Alles Liebe
Yvonne