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Zwei Seelen

Zwei Seelen

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust (= Staub)
Zu den Gefilden hoher Ahnen.

(Faust I, Vers 1112 – 1117)

Die Zeilen bewegen mich sehr. Sie spiegeln gut, was ich in meinem Alltag erlebe. Die pflichterfüllende “Seele” als Mutter, Ehefrau, Teil der Großfamilie und nicht zuletzt als Angestellte. Die Seele, die sich um alles kümmert, was nach Erfüllung ruft, die Wäsche legt und Katzenfutter kauft, die Formulare ausfüllt und Entschuldigungen schreibt, die Geschenke besorgt – eben Dinge tut, die anderen zu Gute kommen.

Die andere “Seele” ist in meinem Verständnis das, was “ich wirklich bin”. Der Beobachter. Wenn ich frage: Woher kommt mein nächster Gedanke? – Der Teil, der auf die Antwort lauscht. Der Anteil, der – in Faust gesprochen – versucht, zu “erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält.” Der Dinge mit Begeisterung und Freude tut. Der nie stillsteht und mit dem Status quo zufrieden ist. Gleichzeitig aber paradoxerweise zufrieden ist.

Ich hab immer gedacht, ich wäre irgendwie seltsam, weil ich die beiden nicht unter einen Hut bekomme. Inzwischen weiß ich, dass es Teil des Menschseins ist, auch wenn man oft glaubt, anderen ginge das nicht so.